Leseempfehlungen

Freitag, 4. Februar 2011

(Rezension) Die Farben der Grausamkeit von Joseph Zoderer


Verlag: Haymon Verlag 
Gebundene Ausgabe 
336 Seiten
Genre: Roman
ISBN: 978-3-85218-684-9
Preis: 19,90 €
Erscheinungsdatum: 04. Februar 2011


"Joseph Zoderer findet in seinen kunstvoll geschriebenen Romanen und in einer schnörkellosen Sprache beispielhafte Metaphern für die Befindlichkeiten des Menschen (...)" - Carlo Bernasconi, BuchJournal


Die zwei Welten eines Mannes

Der Radiomoderator Richard ist mit Selma und seinem kleinen Sohn Rik glücklich. Ihr gemeinsamer Traum ist es, an den Waldrand zu ziehen, dem hektischen Stadtleben zu entfliehen. Doch dieses Glück wird gestört als Richard die junge Ursula kennenlernt. Nie hatte er daran gedacht, Selma zu betrügen, doch nun ist es wie selbstverständlich. Richard beginnt ein Doppelleben zu führen. Auf der einen Seite das ruhige, besinnliche Familienleben mit Selma, auf der anderen Seite das turbulente Leben an der Seite von Ursula. Doch nach einiger Zeit beendet Ursula die Beziehung. Zu dieser Zeit haben Selma und Richard bereits ein Berghaus in den Tiroler Alpen gekauft. Die Renovierung des herunter gekommenen Hauses hilft Richard, die Beziehung mit Ursula zu verarbeiten, doch heilen kann sie ihn nicht. Da erhält er ein Angebot als Auslandskorrespondent, welches er annimmt. Seine Arbeit führt ihn nach Paris, London und im Jahr 1989 nach Berlin. Dort trifft er Ursula wieder.

Richard ist ein innerlich zerrissener Mann. Er liebt Selma und seine mittlerweile zwei Söhne. Die Renovierung des Berghauses in den Tiroler Alpen ist für ihn wie eine Therapie, eine versuchte Heilung von den Wunden, welche die Trennung von Ursula ihm verursacht haben. Doch diese Wunden lassen sich nie ganz heilen, ständig sind seine Gedanken bei Ursula. Und doch gelingt es ihm scheinbar mühelos, im Zusammensein mit Selma und den Kindern den Schalter umzulegen und den treusorgenden Ehemann und Vater zu spielen. Der Job als Auslandskorrespondent kommt ihm daher mehr als gelegen, bietet sie doch Ablenkung und Flucht und führt ihn an Orte, die er mit Ursula nicht besucht hat. Doch selbst hier verfolgen ihn seine Gedanken an Ursula. Seine Beziehung zu Selma erkaltet schleichend durch die ständige Trennung. Und er weiß auch, dass er für seine Kinder ein schlechter Vater ist, doch ändern kann oder will er auch nichts an dem gegenwärtigen Zustand.

Und so wie die Berliner Mauer im Jahr 1989 immer mehr Risse bekommt, so bekommt auch die Ehe von Selma und Richard immer mehr Sprünge und droht an der ständigen Abwesenheit von Richard zu zerbrechen. Beide spüren dies und genau in diesem Moment tritt Ursula wieder in sein Leben. Nicht nur eine weltpolitisch aufregende Zeit beginnt, auch für Richard kehrt wieder Aufregung in sein Leben zurück. Kaum noch interessiert ihn das aktuelle Geschehen in Berlin, in seinem Blickfeld befindet sich nur noch Ursula, wie besessen ist er von ihr. Doch kann diese Beziehung ein gutes Ende finden?

Richard ist in meinen Augen ein sehr selbstsüchtiger Mensch. Er vermutet zwar, dass Selma etwas von seiner Beziehung zu Ursula ahnt, ist aber nicht fähig, diese zu beenden oder eine Entscheidung zu treffen. Viel zu sehr genießt er diese zwei so unterschiedlichen Leben mit den beiden Frauen, die er beide auf ihre Art gleich stark liebt. Er weiß sehr genau, dass Selma unter der Einsamkeit der Bergwelt leidet, sich ein glückliches Familienleben wünscht, doch für eine Entscheidung ist er nicht bereit. Bei Ursula lebt er nur im Hier und Jetzt, genießt das aufregende Leben mit ihr wie auch ihre Unbekümmertheit.  Sie ist für ihn die Gegenwart, mit Selma plant er die Zukunft und er kommt nicht auf den Gedanken, dass es für Selma vielleicht gar keine gemeinsame Zukunft geben könnte. Und so habe ich mich über das Verhalten von Richard des Öfteren ziemlich geärgert, da es für mich absolut nicht nachvollziehbar ist.

Aber eigentlich war dies nur nebensächlich, denn wichtig ist hier die Sprache von Joseph Zoderer. Diese ist so kraftvoll, poetisch, nachdenklich, stellenweise melancholisch, dann wieder euphorisch, dass man schon nach kurzer Zeit von seiner Erzählweise gefangen ist. Hinzu kommt, dass seine Geschichte atmosphärisch sehr dicht umgesetzt ist und man bei seinen Beschreibungen der Bergwiesen, der Wälder oder der doch recht ausfürhlich beschriebenen Renovierung des Berghauses dies praktisch alles sofort vor Augen hat und hinzu kommt die Geschichte an sich. Der Autor beschreibt seinen Protagonisten und dessen Gefühlswelt sehr plastisch und stellt auch bewusst dessen innere Zerrissenheit in den Vordergrund. Man weiß bis zum Schluss nicht, wie sich das Leben von Richard weiter entwickeln wird, welches Schicksal Joseph Zoderer für seinen Protagonisten vorgesehen hat.

„Die Farben der Grausamkeit“ ist kein einfaches Buch und man muss sich für dieses wirklich viel Zeit nehmen, aber man wird belohnt. Belohnt mit einer fantastischen Sprache und einer Geschichte, die einen fesselt, auch wenn man – wie ich – das Verhalten des Protagonisten absolut nicht nachvollziehen kann.
Der Autor Joseph Zoderer
Joseph Zoderer, geboren 1935 in Meran, lebt als freier Schriftsteller in Bruneck. Studium der Rechtswissenschaften, Philosophie, Theaterwissenschaften und Psychologie in Wien. Zahlreiche Auszeichnungen, u.a. Ehrengabe der Weimarer Schillerstiftung (2001), Hermann-Lenz-Preis (2003) und Walther von-der Vogelweide-Preis (2005). Vom Autor des Romans Die Walsche erschienen zuletzt: Der Himmel über Meran. Erzählungen (2005), Liebe auf den Kopf gestellt. Lyrik (2007) sowie bei HAYMONtb Das Glück beim Händewaschen. Roman (2009).

3 Kommentare:

  1. Hallo Isabel,
    ich werde das Buch auch lesen und freue mich dank Deiner schönen Rezension schon jetzt darauf!
    Mal was anderes....Ganz nach meinem Geschmack!

    Liebe Grüße
    Aenna

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  2. Hallo Aenna,
    ich wünsche Dir viel Spaß dabei, das Buch war wirklich sehr gut, aber auch keine leichte Kost.
    LG Isabel

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  3. Dem muss ich zustimmen, es ist wirklich kein leicht zu lesendes Buch. Und ich kann das Verhalten von "Fremdgehern" eh nicht gutheißen, hab aber versucht, mich in meiner eigenen Bewertung davon nicht beeinflussen zu lassen. Gerade die Sprache fand ich seeeehr gewöhnungsbedürftig.

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